Blickpunkt Juni / Juli / August 2024 – Alexander Pauli, Hersbruck

„Man entdeckt keine neuen Erdteile, ohne den Mut zu haben, alte Küsten aus den Augen zu verlieren.“ So bildhaft formulierte André Gide. Neuland kommt nicht zu uns, es muss von uns erschlossen werden und verlangt uns echten Aufbruch ab. Im Gnadauer Verband ist das schon seit vielen Jahren Motto: „Neues wagen!“ Kürzlich erst durch einen der sogenannten „Kernsätze“ unseres Präses auf den Punkt gebracht: „Innovation braucht Exnovation“. Warum wird das immer und immer wieder thematisiert?

1. Weil es für viele von uns nicht reicht, nur einmal dazu aufgefordert zu werden und

2. Weil es so wichtig ist.

Ist Aufbruch wirklich so wichtig? Ist es nicht Grundüberzeugung unseres Glaubens, gerettet zu sein? Fallen uns beim Thema Rettung seit Jahren nicht zuerst Schiffbrüchige ein, die Küsten aus den Augen verloren haben und dann aus Seenot gerettet wurden. Ist es, nachdem man einmal in Sicherheit gebracht wurde, sinnvoll oder gar Zeichen großen Glaubens, sich nun erneut in Unsicherheiten zu stürzen? Sind wir Christen nicht die einst Verlorenen und nun Gefundenen, sind wir nicht eine Herde, die dicht an dicht dem Hirten folgt, keine gefährlichen Experimente wagt, sondern wie Küken unter dem Flügel der Henne ihren Schutzraum hat?

So biblisch all diese Bilder sind, so unausgewogen ist ihre Auswahl. Die Bibel steckt voller Aufbrüche und Wagnisse. Dass der christliche Glaube eine solche Ausbreitung hat, wie wir sie heute kennen und dass wir uns Christen nennen können, liegt allein daran, dass schon seit den ersten Christen Aufbruch zum Wesen unseres Glaubens gehört. Nirgendwo finden wir das so gebündelt wie in der Apostelgeschichte. Aber Aufbruch ist noch viel tiefer in unserer DNA als Gläubige verankert. Lasst uns das einmal am Beispiel von Glaubensvater Abram betrachten.

Lest dazu bitte 1. Mose 12,1-5

Machen wir uns ein paar Dinge bewusst:

1. Abram tut hier etwas Außergewöhnliches. Es ist nichts Ritualisiertes, was jeder einmal durchmacht. Es ist kein Übergang wie vom Auszug aus dem Elternhaus in die erste eigene Wohnung. Es ist echtes Neuland, das nicht auf ausgetretenen Pfaden der Vorfahren erreicht werden kann.

2. Was Abram hier unternimmt, ist extrem risikoreich. Er verlässt seine Sippe ohne Not. Die Sippe war damals die Lebensversicherung. Wäre etwas schief gegangen, wären das die Menschen gewesen, die ihn aufgefangen hätten. Er lässt sie hinter sich, um einem Gott zu folgen, von dem er bis dahin so gut wie nichts wusste, um ihm Vertrauen zu schenken bzgl. einer schier unglaublichen Sache. Nämlich, dass aus ihm, mit seiner unfruchtbaren Frau in diesem Alter noch ein großes Volk werden und er noch einen großen Namen bekommen sollte.

3. Der versprochene Segen, der Abram zum Aufbruch ermutigt, ist nicht allein Segen für ihn, sondern Segen für die ganze Welt.

Während die ersten beiden Punkte mir sagen, dass Glaube immer schon auch Mut beinhaltete und ich gerne lernen möchte solchen Mut zum Vorbild für mein eigenes Leben zu nehmen, zeigt mir der dritte Punkt auf, was ich allzu leicht vergesse: Es geht nicht nur um mich! Es geht auch um mich, aber auch um alle andern.

Die Formel: Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein ist für mich wesentlich geworden. Ebenso die Erkenntnis, dass sie sich nicht sinnvoll halbieren lässt und ich sagen könnten, ich gebe mich damit zufrieden, dass ich gesegnet bin.

Abrams Aufbruch ist nicht nur ein Test. Gott überschüttet Abram nicht mit dem angekündigten Segen, sobald der einen Schritt vor die Tür macht. Echter Aufbruch lässt das Vertraute so weit hinter sich, dass es aus dem Blick gerät. Sarai wird nicht augenblicklich schwanger, das verheißene Land ist nicht die Nachbarparzelle von Haran, Abram findet seinen Namen nirgendwo bereits groß vor. All das, was Gott als Segen in Aussicht gestellt hat, stellt sich erst im Laufe eines ganzen Lebens ein. Es muss durch Aufbruch und vertrauensvolles Unterwegssein mit Gott erst erlebt und damit gewonnen werden. Und zwar nicht wie bei einem Besuch im Vergnügungspark, wo ein Highlight neben dem andern steht und nur noch darauf wartet, genossen zu werden. Auch Abrams Leben war ein Leben mit vielen Aufs und Abs ohne Abkürzungen. Den Aufbruch zu wagen, heißt auch immer, sich sehenden Auges in eine Krise zu manövrieren. Das im Glauben zu tun, heißt, der Überzeugung zu sein, mit Gott diese Krise bewältigen oder überleben zu können und neu gesegnet daraus hervorzugehen.

Wie wurden die Segnungen Abrams aber die der ganzen Welt? Gott war zu Abrams Zeiten ein unbeschriebenes Blatt. Menschen haben ihn erst kennengelernt durch Geschichten, die er mit Personen schrieb, die ihm ihr Leben anvertrauten. Lange bevor Gott zu einem Eigennamen kam, wurde er bekannt als Gott Abrahams und dann auch Isaaks und Jakobs. Er wurde erkennbar und glaubwürdig durch Lebensgeschichten. Dieses Prinzip hat sich bis heute fortgesetzt. Menschen fassen Vertrauen zu einem Gott, dem Menschen vertrauen, deren Geschichte sie kennen, deren Höhen und Tiefen und deren Segnungen sie miterlebt haben. Da wo Menschen an unserem Leben ablesen können, dass wir uns nicht auf dem Segen ausgeruht haben, den wir schon immer in Händen hielten (unser Wohlstand, unsere Sicherheiten, unser Gewohntes, unser Haran), sondern im Vertrauen auf Gott Neues gewagt und gewonnen haben, haben sie auch die Chance Vertrauen zu diesem Gott zu fassen und damit selbst gesegnet und zum Segen zu werden.

So bleiben für uns als Einzelne, als Gemeinschaften und Verband die spannenden Fragen: Welche Aufbrüche sollen wir wagen, welche Küsten aus den Augen verlieren, und welchen Segen möchte uns Gott dadurch gewinnen und weitergeben lassen?