Ausgabe September / Oktober / November 2018 – Uwe Heimowski, Jg. 1964, verheiratet, fünf Kinder. Pädagoge und Theologe, seit 2016 politischer Beauftragter der Deutschen Evangelischen Allianz. Verschiedene Publikationen. Nähere Infos unter www.heimowski.net und www.politik.ead.de
Wie sieht das Image der Evangelikalen in der Politik aus.
Die Evangelikalen. Im politischen Berlin denken dabei viele zuerst an die Trump-Unterstützer in den USA. Evangelikal ist gleich WASP (white anglosaxon protestant – weißer angelsächsischer Protestant).
Wenn ich von den schwarzen Evangelikalen erzähle, die mehrheitlich Obama wählten, oder von der Social-Gospel Bewegung, die man eher als links-evangelikal bezeichnen muss, dann ernte ich überraschte Blicke.
Duchaus ähnlich ist es in Deutschland. Evangelikale: Für viele sind das rechts-konservative Christen, etliche von ihnen potentielle AfD-Wähler. Klischees halten sich hartnäckig. Evangelikale sind Homoheiler, Dämonenaustreiber oder Zwangsbekehrer. Ein Bild, das eine Reihe von Medienberichten vermittelt haben, etwa die vieldiskutierte TV-Dokumentation „Mission unter falscher Flagge“.
Für eine SWR Reportage über Evangelikale wurde ich neulich um ein Interview gebeten. Der Redakteur schickte mir einen Fragenkatalog, in dem er manches Vorurteil bediente. Seine Themen: Lebensschutz, Frühsexualisierung von Kindern, Genderfragen, Kreationismus, Sex vor der Ehe, Satan und Besessenheit, Gewalt gegen Kinder, Umgang mit Homosexualität. Kein Wort von Bibelverständnis, Gebetsbewegung, Gottesdiensten, Weltverantwortung. Für ihn (und viele andere) scheinen Evangelikale vor allem ein krude Gruppe mit weltfremder Moral zu sein.
Eher Langweiler als Aufreger: wie wir wirklich sind
Dabei sind wir Evangelikalen – wenn man so will – doch eigentlich eher langweilig. Die meisten Evangelikalen sind fromm und anständig, fleißig und verantwortungsbewusst. Sie besuchen regelmäßig den Gottesdienst, lesen ihre Bibel und engagieren sich ehrenamtlich in der Gemeinde. Sie heiraten, sind einander treu und gründen Familien. Sie zahlen ihre Steuern und beten für die Obrigkeit. Im Erscheinungsbild dagegen sind Evangelikale ausgesprochen vielfältig. Da ist der schwäbische Pietist, der sächsische Methodist, der charismatische Landeskirchler, der Brüdergemeindler mit Russlanddeutschen Wurzeln – und so viele andere mehr. Diese Vielfalt macht es schwer, von „den“ Evangelikalen zu reden. Man kann sie nicht über einen Kamm scheren.
Und ja, es gibt skurrile Typen unter uns, auch sektenähnliche Gemeinden. Es gibt manche, deren Blick auf einige wenige Themen verengt ist. Sie fühlen sich von den herkömmlichen Parteien nicht mehr repräsentiert. (Dass manche eine Nähe zur Neuen Rechten haben, zeigt Liane Bednarz in ihrem Buch „Die Angstprediger: Wie rechte Christen Gesellschaft und Kirchen unterwandern“.) Doch wer von diesen Ausnahmen auf die Regel schließt, zeichnet ein völlig falsches Bild von der Mehrheit der Evangelikalen. Manche Evangelikale definieren sich über Abgrenzung. Wir sind GEGEN Abtreibung, Ehe für alle, Gendermainstreaming usw. Dabei haben wir das nicht nötig. Neulich traf ich Philipp Amthor. Er ist der jüngste Abgeordnete im Bundestag. Ein streitbarer Konservativer, ein sehr kluger Kopf. Er ist im Osten Deutschlands aufgewachsen, ohne Bezug zur Kirche. Aber er bewundere die Christen, sagte er mir. Und schob eine Erklärung nach: „Wir Konservativen müssen uns immer über Abgrenzung definieren. Für Sie ist es einfacher: Als Christ haben sie die Bibel und damit stehen Ihre Werte fest. Sie müssen sich von niemandem abgrenzen.“ Recht hat er.
Die Deutsche Evangelische Allianz (DEA) wird manchmal als „Dachverband der Evangelikalen“ bezeichnet. Das ist nicht ganz richtig. Es gibt keine verbindliche Struktur der verschiedenen Gruppen und Gemeinden. Kein Kirchenamt, das die Autorität hätte, die schrägen Typen in der evangelikalen Welt zur Ordnung zu rufen. Die DEA ist vielmehr ein Netzwerk, eine Basisbewegung. Wir werben für ein geistliches Miteinander der verschiedenen Christen. Wir versuchen, möglichst mit einer evangelikalen Stimme zu sprechen, und weisen auch auf Missstände hin.
Die DEA ist eine Bibelbewegung. Gottes Wort ist für uns die verlässliche Richtschnur in Glauben und Handeln. Wir richten unsere Werte nach ihr aus, im persönlichen Leben wie in der Politik.
Wir sind eine Jesusbewegung, wir glauben, dass Jesus der einzige Weg zu Gott ist, deshalb laden wir Menschen zu ihm ein. In Wort und Tat, durch Evangelisation und Mission, durch gesellschaftliches Engagement und Übernahme von Weltverantwortung. Die meisten Evangelikalen teilen diese Überzeugungen und fühlen sich der DEA verbunden.
Leuchttürme: Wo Evangelikale deutlich wahrgenommen werden
Im politischen Berlin werden wir unterschiedlich wahrgenommen. Viele der Abgeordneten haben noch nie von der DEA gehört. Für sie gibt es nur evangelisch oder katholisch. Sie sind überrascht, wenn ich ihnen von der Vielfalt der evangelikalen Christen berichte. Manche stecken in den gleichen Vorurteilen fest, die ich eingangs erwähnt habe. Ihnen versuche ich das breite Themenspektrum aufzuzeigen, für das wir stehen. Aber klar, wenn jemand jeden Lebensschützer per se in die rechte Ecke stellt, dann kann man nichts machen. Wir werden wegen dieser Etikettierung unsere Positionen nicht aufgeben. Für uns ist jedes Leben heilig, weil jeder Mensch ein Geschöpf Gottes ist. Vor und nach der Geburt, gesund oder behindert. Andere nehmen uns sehr positiv wahr, sie schätzen unsere Meinung. Bei manchen Themen können wir dadurch auch mal der Leuchtturm für christliche Werte sein. So war es etwa im Sommer 2017. In der letzten Sitzungswoche hat der Bundestag die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare beschlossen. Wir haben dazu eine Stellungnahme herausgegeben. Darin haben wir uns einerseits deutlich gegen jede Form von Diskriminierung von Lesben und Schwulen ausgesprochen. (Und seien wir ehrlich, da haben viele Evangelikale noch einiges zu lernen!) Zugleich haben wir als Christen betont, dass im Grundgesetz Ehe und Familie besonders geschützt werden. Kinder entstehen auf natürlichem Wege aus der Vereinigung von Mann und Frau. Ehe und Lebenspartnerschaft sind daher nicht einfach identisch. Es muss der Rechtsgrundsatz gelten, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist. Das ist keine Diskriminierung, sondern eine Differenzierung.
Wir schickten unsere Stellungnahme an die Mitglieder des Deutschen Bundestags (MdB). Die Mehrheit haben wir nicht überzeugen können. Das war auch nicht zu erwarten. Aber für den einen oder anderen war unsere Position ein Leuchtturm. So lud mich Heinrich Zertik spontan in sein Büro ein. Der MdB – selber Russlanddeutscher – war zu dieser Zeit der Beauftragte seiner Partei für Aussiedlerfragen. Er servierte mir Tee und selbstgebackene Plätzchen. Und bedankte sich ausdrücklich für unsere Stellungnahme. Für die in Wertefragen größtenteils konservativen Rumänien- oder Russlanddeutschen sei es ein wichtiges Signal gewesen, dass sie nicht alleine stehen mit ihren Überzeugungen.
Wurden wir beim Thema „Ehe für alle“ eher „rechts“ verortet, steckten manche uns beim folgenden Anliegen in die linke Ecke: Bereits 2014 erschien die Broschüre: „Flüchtlinge willkommen heißen“, herausgegeben vom Arbeitskreis Migration und Integration (Amin) der DEA gemeinsam mit dem Orientdienst. Darin werden biblische Grundlagen dargestellt, praktische Hilfen im Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen gegeben und auch Themen wie Asylverfahren oder Taufe erklärt. Als die Flüchtlingszahlen 2015 sprunghaft stiegen, war diese Broschüre vielen Gemeinden und Initiativen eine große Hilfe. Sie musste achtmal nachgedruckt werden und fand Beachtung weit über die evangelikale Szene hinaus. Hier konnten wir ein echter Leuchtturm sein und vielen Menschen Orientierung geben.
Ein drittes Beispiel. Beim Thema Christenverfolgung wird die Meinung der Evangelikalen insgesamt sehr geschätzt. Hier besitzen wir eine große Expertise. Gemeinsam mit anderen geben wir regelmäßig die Jahrbücher „Religionsfreiheit“ sowie „Diskriminierung und Verfolgung von Christen“ heraus. Jeder MdB bekommt ein Exemplar zugeschickt. Mitherausgeber Prof. Thomas Schirrmacher wird regelmäßig zu Expertengesprächen eingeladen. An der evangelikalen Hochschule FTH in Gießen wurde im Frühjahr 2018 der deutschlandweit erste Lehrstuhl für Religionsfreiheit und Erforschung der Christenverfolgung eingerichtet. Zur Einführung von Prof. Christof Sauer kamen hochrangige Vertreter der Politik, die die Vorreiterrolle der Evangelikalen bei diesem Thema betonten.
Werke wie Open Doors, HMK oder AVC erheben ihre Stimme regelmäßig für verfolgte Christen. Als Beauftragter der DEA arbeite ich in verschiedenen Arbeitskreisen des Bundestags zu diesem Thema mit. Dass unsere Stimme Gehör findet, zeigt nicht zuletzt die Einsetzung eines Beauftragten der Bundesregierung für Religionsfreiheit. Wir hatten das seit längerem gefordert. Jetzt stehen wir in gutem Austausch mit Markus Grübel, MdB, der in dieses Amt berufen wurde.
Diese Beispiele zeigen: Mag es auch manches Klischee geben, und auch an der ein oder anderen Stelle berechtigte Kritik an den Evangelikalen. Bei manchen Themen werden wir sehr ernst genommen. Darum lasst uns mutig zu biblischen Werten stehen in Wort und Tat. Mögen wir uns selber auch mitunter für langweilig halten. Gottes Wort ist und bleibt ein Leuchtturm.