Ausgabe September / Oktober / November 2021 – Ein Interview mit Nico Limbach, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am IEEG (Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung) in Greifswald.

Walter Ittner: Lieber Nico, du schreibst gerade deine Doktorarbeit über das Thema „Mündige Nachfolge gemeinsam lernen“. Für mich klingt das sehr spannend. Wie kamst du zu diesem Thema?

Nico Limbach: Es lag daran, dass ich mir überlegte, will ich überhaupt eine Doktorarbeit schreiben? Dann war mir irgendwann klar, wenn ich schon mindestens drei Jahre meines Lebens investiere, dann muss es ein Thema sein, das mich drei Jahre bei der Stange hält und das mich selbst interessiert. Im Studium kam ich immer wieder an den Punkt, dass ich mich gefragt habe: „Wie werden Menschen im Glauben erwachsen und wie können sie wachsen?“ Auch in meinen Gemeindeerfahrungen hat mich diese Frage immer am meisten bewegt: „Wie kann man sehen, dass sich Leben verändert in der Nachfolge?“.

W.I.: Oft wird in der deutschsprachigen Gemeindewelt eher von der „Jüngerschaft“ gesprochen. Du hast dich bewusst für einen etwas anderen Begriff entschieden. Was bedeutet er für dich und was ist eigentlich für dich „mündige Nachfolge“?

N.L.: Das kann ich zuerst mal ganz pragmatisch beantworten. In der Gemeinde-Welt spricht man eher von „Jüngerschaft“, aber in der Uni-Welt wird über das Thema gar nicht so viel gesprochen und wenn dann unter dem Begriff „Nachfolge“; wahrscheinlich auch geprägt von dem Buch Dietrich Bonhoeffers zur Nachfolge. Inhaltlich mag ich den „Nachfolge“-Begriff aber deshalb noch etwas mehr, weil er etwas dynamisches beschreibt und etwas, was in Bewegung ist. Ich liebe dieses Bild von der Nachfolge, weil es ausdrückt: Da sind zwei Leute, bei denen der eine voraus geht und der andere hinterher.

Da mich dieses Bild angezogen hat, kommt deshalb diese Kombination von Mündigkeit und Nachfolge. Für ganz viele Menschen stellen diese beiden Begriffe einen Widerspruch dar. Für sie heißt Mündigkeit, dass ich völlig frei von allen möglichen Abhängigkeitsverhältnissen bin. Im Glauben jedoch heißt Mündigkeit, dass ich immer mehr in Abhängigkeit zu Jesus hinwachse. Diese Spannung wollte ich aufnehmen. Denn: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“ und meine theologische Position ist, dass ich wahre Freiheit eigentlich erst in der Nachfolge erlebe und dann von meiner Freiheit gut Gebrauch mache.

W.I.: Warum ist es denn wichtig, dass Gemeinden Christen in der Nachfolge herausfordern?

N.L.: Ich kann mir ehrlich gesagt gar nicht vorstellen, wie Nachfolge ohne Gemeinde aussieht. Ich glaube, dass die Gemeinde auch ganz viele Chancen hat, hier zu fördern, weil wir vieles ja durch andere Menschen lernen. Egal ob dies nun in der großen „Gottesdienst– Gemeinde“ oder in einer kleinen Gruppe wie einem Hauskreis geschieht. Wenn man sich zum Beispiel fragt: „Wie habe ich denn das Beten gelernt?“, dann doch oft so: Ich habe mal irgendjemanden beten hören und hab mich daran orientiert. Vielleicht ist mein Gebets-Stil oder mein Gebetsleben jetzt ganz anders, aber ich hatte dieses Vorbild, von dem ich irgendwie gelernt habe, wie das geht oder wie das jemand macht, wenn er betet.

W.I.: Nun könnte man aber einwenden: Geschieht denn das Wachsen nicht automatisch? Warum ist es denn notwendig, es noch speziell zu fördern?

N.L.: Viele Veränderungen passieren natürlich oft beiläufig, aber öfters auch intentional bei den Dingen, die wir priorisieren. Als Gemeinde sind wir eine Nachfolgegemeinschaft. Dabei ist mir beim Forschen und Lesen wichtig geworden: Man kann auf der Angebotsebene Programme fördern, die sich mit Nachfolge beschäftigen. Jedoch wird ebenso ganz viel über Beziehungen gefördert. Die Lerntheoretiker würden dann von „informellem Lernen“ sprechen. Wir lernen einfach dadurch, dass wir mit anderen Menschen unterwegs sind, sie beobachten, mit ihnen im Gespräch sind und Probleme gemeinsam angehen. Darum ist es wichtig, die Lebensgemeinschaft in der Nachfolge auch zu fördern.

Was die Angebote in einer Gemeinde angeht, da würde ich für ein Spektrum plädieren mit Kursen zum Glauben, die einen Einstieg bieten, aber auch vertiefenden Angeboten, in denen Menschen nicht nur die Grundfragen lernen, sondern ebenfalls gerade für Erwachsene ein Angebot schaffen, wo man in der Nachfolge weiterwachsen kann. Weiterhin haben individuelle Begleitangebote wie Mentoring oder Coaching in der Gemeinde ein großes Potenzial.

W.I.: Was hast du denn besonders spannend gefunden, bei all dem was du genannt hast?

N.L.: Eine Sache, mit der ich mich noch mal mehr beschäftigt habe, ist das sogenannte „Huddle–Konzept“, das ich aus einer Gemeinde in England kenne. Daraus ist inzwischen eine ganze Bewegung hervorgegangen. „Huddle“ ist etwas schwierig zu übersetzen, aber meint einfach „Haufen“. Die Idee kommt aus dem Sport, wo bei manchen Sportarten sich die Mannschaften kurz im Kreis sammeln, umarmen, sich kurz beraten und anfeuern und dann geht es wieder zurück ins Spiel. Bei dem „Huddle-Konzept“ in der Gemeinde treffen sich Menschen, wo jeder und jede eine Frage mitbringt oder den anderen erzählt: „Da bin ich gerade dran in meinem Leben“, oder: „Da hat Gott was in mir angestoßen in den letzten Tagen oder Wochen und da merke ich, irgendwie arbeitet Gott in mir“. Anschließend erzählt man ein bisschen darüber und die anderen stellen nur Rückfragen. Man versucht sich dann quasi kreisförmig zu bewegen, indem man das Problem zuerst anschaut und reflektiert und fragt: „Was empfinde ich da? Um welches Thema geht es hier?“ Aber dann auch weiter: „Welche Anregungen gibt es hier von meinem Glauben her? Welche Veränderungen würde ich mir wünschen in diesem Lebensbereich?“

Durch die Fragen der anderen versucht man sich dann selbst ein Ziel zu setzen und den nächsten kleinen Schritt festzulegen.

Da die anderen aktiv zuhören, helfen diese Treffen voreinander freundschaftlich und in Liebe Rechenschaft abzulegen und den anderen zu erlauben bei nächsten Treffen ein oder zwei Wochen später wieder nachzufragen: „Wie ging es dir damit?“, um dann noch einmal über das Thema und die Ziele, die man sich gesetzt hat, ins Gespräch zu kommen. Sicher sind solche Treffen eine Herausforderung, aber sehr sinnvoll.

W.I.: Noch einmal zum zweiten Bereich, dem „informellen Lernen“. Was braucht es in den Gemeinden, damit hier ein Raum geschaffen wird, wo das besser möglich wird?

N.L.: Es liegt eine große Chance darin, einfach Alltagsleben miteinander zu teilen. Ich selbst bin nicht christlich sozialisiert aufgewachsen, war aber ein Jahr in Amerika und habe in der Zeit in einer christlichen Familie einfach mit gelebt. Dadurch habe ich gesehen, wie die ihren Alltag gestalten und welche Rolle da ihr Glaube spielt. Natürlich kann man das nicht so intensiv in der Gemeinde machen. Aber man kann Begegnungsflächen nutzen, die sowieso da sind. In der Weise, dass sich unterschiedliche Menschen aus der Gemeinde aus unterschiedlichen Generationen so verbinden, dass sich Ältere mit Jüngeren austauschen. Das Lernen geht dabei nicht nur in eine Richtung. Sondern wenn beispielsweise die jüngeren Leute Fragen stellen, entsteht für die Älteren ebenfalls eine Chance nochmal neu nachzudenken und zu lernen. Außerdem kann man natürlich auch Menschen in Gruppen zusammenbinden, die in der gleichen Altersgruppe mit den gleichen Fragen und Herausforderungen stehen.

W.I.: Noch eine Frage zum Schluss: Warum aber ist das Einüben und Nutzen von guten Gewohnheiten wichtig, damit mein Glaube immer mehr verwurzelt wird in meinen Alltag?

N.L.: Es ist enorm wichtig. Aus lerntheoretischer Sicht: Je öfter man etwas macht, umso mehr verzahnen sich im Gehirn verschiedene Synapsen. Oder um es mit einem Bild auszudrücken: Wenn man über eine Wiese läuft, dann liegt das Gras zunächst einmal da. Wenn man hier nicht mehr drüber geht, dann steht es irgendwann wieder auf. Aber wenn man regelmäßig darüber geht, dann bildet sich da irgendwann ein Weg. Ganz ähnlich funktioniert es bei uns mit dem Lernen. Je öfter wir Dinge immer wieder tun, umso besser werden sie gefestigt. Das Regelmäßige hilft, Dinge besser zu verankern.

Zweitens entlastet es uns auch, wenn wir gute Gewohnheiten etablieren. Wir müssen jeden Tag unzählige Entscheidungen treffen. Aber wenn ich sozusagen schon vorentschieden habe, dass ich jeden Tag eine bestimmte Glaubens-Übung mache, beispielsweise in der Beschäftigung mit der Bibel oder in einer bestimmten Gebetszeit, in welcher Form auch immer, entlastet mich das. Ich muss dann nicht jeden Tag wieder neu entscheiden: „Was mache ich denn heute?“

Als Drittes: Es gibt in unserem Glauben immer wieder besondere Momente und Höhepunkte, wo wir merken, dass Gott uns besonders anspricht. Die sind wichtig. Es gibt jedoch ebenso den unspektakulären Alltag. Dafür sind gute Gewohnheiten wichtig, weil eben nicht immer alles ganz aufregend und ein großes Event sein muss. Denn die normalen Dinge prägen uns über lange Sicht, auch wenn wir das manchmal gar nicht so merken. Durch Wiederholung festigt sich vieles über lange Zeit.

W.I.: Herzlichen Dank für die vielen Anregungen. Ich wünsche dir noch viel Kraft, Mut und Ausdauer für deine Doktorarbeit.

Das Gespräch mit Nico Limbach führte Walter Ittner

 

Was ist ein „Huddle“?

Wo kommt es her: „Huddle“ heißt übersetzt „Haufen“. Der Begriff kommt aus dem Sport und steht für kurze Auszeiten, die sich ein Team nehmen kann. Für ein paar Minuten steht beispielsweise eine Basketball-Mannschaft in einem Huddle eng zusammen, die Arme wechselseitig auf den Schultern. Dann geht es sofort um die Fragen: Was läuft gut im Spiel, was muss aber dagegen anders werden? Vereinbarungen werden getroffen oder eine neue Strategie abgesprochen.

Worum geht es: Übertragen wurde dieses Prinzip von Mike Breen auf „geistliche Coachinggruppen“. „Die persönlichen Knackpunkte benennen, einander durch Nachfragen weiterhelfen und dann füreinander beten – das sind die drei Elemente eines Huddle“ (Reinhold Krebs).

Wie läuft es ab: Die Gruppen treffen sich in der Regel vierzehntägig. Nach Einstieg, Blitzlichtrunde oder Rückblick bekommt jeder zehn wichtige Minuten, wo er kurz berichtet, wo er weiterkommen möchte oder wo ihn ein Erlebnis beschäftigt und er sich fragt, was hier „von Gott dran sein könnte“. Dann stellt die Gruppe Fragen, die helfen zu erkennen, was in der Situation dran ist. Am Ende steht eine Gebetsrunde, wo alle für die Anliegen der Einzelnen einstehen.

Wo erfährt man mehr: Praktische Hilfen und Anregungen findet man zum einen in den Büchern von Mike Breen oder beim ejw unter der Seite www.jugendgottesdienste.de (dafür ist eine – kostenlose – Anmeldung erforderlich). Inzwischen hat das ejw seine „Huddle-Gruppen“ in H.U.T – Gruppen umbenannt, um wegzukommen von einem rein englischen Begriff. H.U.T. steht dabei für Hören, Umsetzen und Tun.