Ausgabe Juni / Juli / August 2020 

Ein Gespräch geführt von Benjamin Hopp mit Gerhard Grünert

Niemand verachte dich wegen deiner Jugend.“ – 1. Tim. 4,12

Paulus setzte Timotheus als neuen Gemeindeleiter ein, auch heute noch üblich im Gemeindealltag. Erfahrene, vielleicht sogar sehr bewährte und altgediente Leiter gehen und machen einem Nachfolger, und damit Neuem Platz. Das ist jedoch gerade bei sehr jungen und unerfahrenen eine besondere Herausforderung.

Mit meinem Amtsantritt hatten sich die Mitarbeiter der LKG Helmbrechts genau dieser Aufgabe stellen müssen. Zuvor war die Stelle rund drei Jahre vakant. Der Bezirk und seine Aufgaben wurden ehrenamtlich am Laufen gehalten. Dann war es endlich soweit: Ein neuer Prediger kommt, er ist motiviert und hat eine Vision von Gemeinde. Und: er ist 25 Jahre jung und kommt direkt von der Ausbildung. Seither entwickelte sich einiges weiter. Trotz oder gerade wegen des neuen, jungen Predigers? Auf jeden Fall wegen den Mitarbeitern, die trotz mancher Verletzungen und Fehlschläge immer noch bereit sind, gemeinsam mit ihrem immer noch jungen, mittlerweile etwas erfahreneren Prediger Reich Gottes zu bauen!

Mit Gerhard Grünert unserem Bezirksdelegierten spreche ich über seine Erfahrungen und Erkenntnisse seit meinem Amtsantritt.

Benjamin Hopp: Lieber Gerhard, vor knapp viereinhalb Jahren bin ich als Prediger zu euch gekommen. Ein junger Mann, der Leitungsfunktion für einen Gemeinschaftsbezirk übernimmt, ambitioniert, aber noch unerfahren. Was waren deine Erwartungen?

Gerhard Grünert: Werner Hübner hatte hier in Helmbrechts in einer schwierigen Zeit eine besonders wertvolle Arbeit geleistet. Nach seiner Pensionierung war mir bewusst, dass eine drastische Verjüngung in unserer LKG Helmbrechts stattfinden muss. Junge Menschen ziehen junge Menschen an, so meine Hoffnung und mein Gebet.

B.H.: Was hast du dir als Bezirksdelegierter zu Beginn unserer Zusammenarbeit vorgenommen?

G.G.: Möchtest du das wirklich wissen? Ich hatte mir vorgenommen, mir immer rechtzeitig auf meine Zunge zu beißen. – Ich hoffe, es ist mir gelungen. Das ist wohl drastisch ausgedrückt, aber es war mir wichtig, dir Freiraum für deine Entwicklung zu geben.

B.H.: Ich bin deutlich jünger als du und teilweise sogar 40-50 Jahre jünger als so manche unserer Gemeinschaftsmitglieder. Was sind deiner Ansicht nach Vorteile und Herausforderungen für die „geistliche Autorität“ eines Predigers im Zusammenhang mit diesem Altersunterschied?

G.G.: Ich weiß nicht, ob ich „Autorität“ nach geistlich, weltlich, oder nach irgendwelchen anderen Kriterien einordnen möchte. Für mich sollte eine Person in Leitungsfunktion eine „natürliche“ Autorität besitzen. Es wäre vermessen, zu behaupten, ich wüsste, wie man dazu kommt. Ich bin mir nicht mal sicher, ob bei mir diese Eigenschaft zu finden ist. Aber ich vermute, dass junge Prediger hier oft viel Gegenwind spüren. Was ja auch Paulus bei Timotheus festgestellt hat und er deshalb seinen Einspruch bzw. seine Ermutigung formulieren musste (1.Tim 4,12). Andererseits können junge Menschen mit ihren idealistischen, oftmals auch euphorischen, Gedanken und Ideen Ältere mitreißen und zu besonderen „Höchstleistungen“ motivieren. Möchte man über die rein „geistliche Autorität“ sprechen, sind die Grundlagen naturgemäß eine gute Ausbildung plus Lebenserfahrung, vor allem auch im seelsorgerlichen und zwischenmenschlichen Bereich.

B.H.: Oder provokanter gefragt: kann so jemand überhaupt eine geistliche Autorität gegenüber so erfahrenen Christen u. Christinnen haben?

G.G.: Nun, was heißt „erfahrene“ Christen und Christinnen? Petrus hat viele Erfahrungen und Erlebnisse mit Jesus gehabt. Und? Trotzdem war er fähig, seinen Herrn zu verleugnen. Können wir vermeintlich „erfahrenen“ Christen und Christinnen sicher sein, stets nach seinem Wort zu handeln und zu leben? Und außerdem „erfahren“ hat nichts mit dem Alter zu tun. Sondern mit dem, was ich erfahren / erlebt habe, gerade mit unserem Herrn. Dies kann in jungen Jahren genauso geschehen wie im hohen Alter oder einfach im Laufe der Zeit. Also provokant geantwortet: Autorität wird verliehen. Wenn´s gut läuft nicht nur Kraft des Amtes, sondern weil Menschen das so einschätzen, gut finden und sich deshalb auch “unterordnen“ können. Übrigens, verliehene Autorität, kann man auch verlieren oder noch schlimmer: verspielen.

B.H.: Während der fast drei Jahre andauernden Vakanz vor meinem Kommen warst du als Bezirksdelegierter der Hauptverantwortliche des Helmbrechtser Bezirks. Gerade im ersten Jahr warst du bei Fragen und Problemen deshalb mein erster Ansprechpartner; ich war auf deine Unterstützung und Begleitung angewiesen. 

G.G.: Nicht nur auf meine. Ich denke, dass auch meine Elisabeth – manchmal fast noch mehr als ich – unterstützt hat. Ohne meine „PfarramtsSekretärin“ wäre die Vakanz über so lange Zeit wohl nicht zu schaffen gewesen. Das so nebenbei. Ich bin mir aber sicher, dass diese Konstellation nach der Vakanz von Gott gewollt war. Ich weiß es nicht mehr mit Sicherheit, aber ich denke es war Konrad Flämig, der bei einem herzhaften Abendsnack zu uns gesagt hat: seid einfach geistliche Eltern. Ich hoffe, du hast es auch so empfunden.

B.H.: Mit der Zeit bin ich selbstbewusster und damit auch selbst- und eigenständiger geworden. Wie war es für dich, als erfahrenen Bezirksdelegierten, viele Verantwortlichkeiten an mich als jungen und unerfahrenen Prediger abzugeben – am Anfang, dann aber auch später, als ich immer selbstständiger wurde?

G.G.: Am Anfang war ich noch berufstätig, ging eigentlich schon auf dem „Zahnfleisch“ und war heilfroh die Gottesdienst- und Stundenbesetzung nicht mehr organisieren zu müssen. Obwohl das natürlich auch schöne Seiten hatte. Es gibt ja Leute, die ich sonst gar nicht kennen würde. Und das war und ist eine tolle Bereicherung. Auch die Leitung der Mitarbeiter- und Gemeinschaftsratssitzungen hat mir nach Übergabe an dich nicht wirklich gefehlt. Ehrlich gesagt, ist man trotzdem immer versucht, seinen Stil dem Nachfolger aufs Auge drücken zu wollen. Das gilt umso mehr, wenn der Nachfolger frisch von der Schule kommt und noch keine Berufserfahrung haben kann. Loslassen sollte deshalb als christliche Tugend praktiziert werden.

B.H.: Wie ging es dir mit meiner, ich nenne es mal „Emanzipation“? Gab es Dinge, die dir eher leichtfielen und andere, die eher schwer waren?

G.G.: Um an die Aussage von Konrad Flämig – Eltern sein – anzuknüpfen. Kinder müssen flügge werden. Wie in der richtigen Familie, ist es auch mit uns nicht immer schmerzfrei gewesen. Ich darf ein Beispiel anführen. Für das LighthouseKonzert 2016 hatte ich einen Trailer in YouTube eingestellt. Für meinen Geschmack und die Möglichkeiten, die ich hatte, war ich der Meinung, er wäre gar nicht so schlecht. Du warst anderer Meinung und hast mir das während eines Kurzurlaubs in der Rhön am Handy deutlich verklickert. Also die Herausforderung zwischen den Generationen, gerade in Bezug auf Geschmack ist nicht immer einfach. Trotzdem ist es wichtig und oft wohltuend, Verantwortung in jüngere Hände abgeben zu können und sich selbst auch mal zuzugestehen: „Der Herr wird´s scho richten!“

B.H.: Wie war es mit deinen Erwartungen? Gab es welche, die sich erfüllt/vielleicht sogar übertroffen haben? Gab es welche die (schwer) enttäuscht worden sind? Gab es Erwartungen, die sich für dich als falsche Erwartungen herausgestellt haben?

G.G.: Erwartungen hatte ich eigentlich nicht – es waren Gebetsanliegen und die schon seit Beginn der Vakanz. Wir lagen Gott in den Ohren, uns doch einen Prediger zu schicken, der mit einer ganzen Familie anreist – Gebet erhört! Wir haben Jesus gebeten, dass wir als LKG geistliche Heimat für weitere, auch jüngere Menschen werden dürfen. Damals noch unvorstellbar, dass sich Iraner, Menschen mit Junky-Erfahrung oder z.B. ein syrischer Arzt als Gottesdienstbesucher bei uns einfinden – Gebet erhört! Uns wurden weitere engagierte Mitarbeiter geschenkt – Gebet erhört. Was mir aber am meisten guttut – die Herzlichkeit untereinander, die schon während der Vakanz sichtbar wurde, hat sich auch auf unsere neuen Besucher übertragen. Oder vielleicht ist es überhaupt der Grund, warum sich Menschen bei uns zu Hause fühlen! Ich bin mit Erwartungen vorsichtig. Der Begriff „Erwartung“ suggeriert mir sofort, dass damit eine Forderung verbunden ist. Nur wer fordert, kann auch schwer enttäuscht werden. Die einzige Forderung, die ich auch gegen mich erheben möchte, heißt: Sei barmherzig – auch wenn es nicht immer gelingt.

B.H.: Als junger Mensch, gerade als junger Leiter, bekommt man immer wieder gesagt: „Habe den Mut, Fehler zu machen!“ Ich möchte den Satz für unser Thema einmal umkehren: „Habe den Mut, Fehler machen zu lassen.“ Würdest du aus der Erfahrung unserer Zusammenarbeit diesen Satz so teilen, und warum?

G.G.: Ja, das würde ich sofort unterschreiben. Auch wenn´s schwer fällt – sollte man seinem Nächsten zugestehen, Fehler zu machen. Denn gerade an unseren Fehlern, so sie uns bewusst werden, können wir lernen und uns zumindest ein stückweit selbst korrigieren. Das heißt aber nicht, ihn sehenden Auges ins Unglück rennen zu lassen. Ich würde mein Kind schon beim „Krawittchen“ packen und festhalten, wenn es über eine stark befahrene Straße rennen will. Dieses Beispiel aus der Kindererziehung, so habe ich das Gefühl, ist auch ein Leitbild unseres Herrn im Umgang mit uns. Er sieht uns und lässt uns in vielen Dingen gewähren, aber wenn es brenzlig wird, greift er doch ein.

B.H.: Kannst du zum Abschluss aus deiner Erfahrung in der Zusammenarbeit mit mir sowohl den erfahrenen Glaubensgeschwistern als auch den jungen Leitern jeweils einen ermutigenden Satz mitgeben…

Für die Erfahrenen:
G.G.:
Wer sich ab und zu an die eigene „Sturmund Drangzeit“ erinnert, wird bestimmt in vielen Dingen barmherziger reagieren. Respekt, Einfühlungsvermögen und Anerkennung auch gegenüber jüngeren Mitarbeitern und Hauptamtlichen wird unter Gottes Segen stehen. Und immer dran denken: wie barmherzig ist unser Gott mit uns. Für die jungen Leiter:

G.G.: Das gilt natürlich auch umgekehrt. Respekt, Einfühlungsvermögen und die Liebe zum Nächsten, also auch zu älteren „erfahrenen“ Geschwistern, auch wenn sie manchmal konträre Ansichten haben, wird sich immer positiv auf das Gemeindeleben auswirken.