Ausgabe Oktober / November 2017 – Cornelia Kaminski, Fulda, Oberstudienrätin, stellv. Bundesvorsitzende von ALfA (Aktion Lebensrecht für alle), verheiratet, 3 Kinder

 

Medizinberufe unter Druck
Im November 2016 wurde bekannt, dass es im Gesamtklinikum Schaumburg in Obernkirchen, das gerade vom Agaplesion-Konzern gebaut wird, keine Abtreibungen geben soll.

 

Apaglesion gAG wurde als Unternehmen zwar erst 2002 gegründet, führt seine Wurzeln aber auf die evangelische Diakonie zu- rück. Auf der Homepage wirbt das Unternehmen mit den Slogans „Unsere Werte verbinden“ und „Mit Liebe zum Leben“. Die Entscheidung des Konzerns, dass Abtreibungen sich mit dieser Unternehmensphilosophie nicht vereinbaren lassen, kann daher kaum überraschen. Wenig überraschend ist leider aber auch die aufgeschreckte Reaktion der Lokalpolitiker, die für die Zusammenlegung der Klinikum unter Leitung von Apaglesion verantwortlich waren und sich nun mit dem Vorwurf konfrontiert sahen, dass abtreibungswillige Frauen in Zukunft den Landkreis wechseln müssten. Die Fahrtzeit als solches stellt aber nicht das eigentliche Problem dar. Die sei durchaus zumutbar, findet Ursula Helmholz, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Schaumburger Stadtrat. Sie kritisiert vielmehr, dass durch die Entscheidung für einen christlichen Träger den Frauen vermittelt wird, dass eine Abtreibung eine unerwünschte Entscheidung sei und deswegen so schwer wie möglich gemacht werde. Apaglesionsprecher Drenger verteidigte die Haltung des Konzerns und betonte, dass man keine Frau einfach wegschicken, sondern diese intensiv beraten werde.

Eine unerwünschte Beeinflussung?
Gerade dieses Beratungsangebot stößt jedoch auf massive Kritik. Helmholz findet es gar unverschämt: Die Frau habe sich doch bereits für eine Abtreibung entschieden – offensichtlich wolle die Klinik ihr dann aber nochmal „so richtig ins Gewissen reden.“ Zweierlei wird bei dieser Argumentation deutlich. Sieht unser Strafrecht Abtreibungen bisher nach wie vor als rechtswidrig, wenn auch strafbefreit an, so soll dennoch eine solche rechtswidrige Handlung nicht mehr als „unerwünscht“ betrachtet werden, und sie darf keinesfalls erschwert werden. Und: auf eine Gewissensentscheidung, die durch Beratung eventuell revidiert werden könnte, darf sich nur die abtreibungswillige Frau berufen, nicht aber der Arzt oder das Klinikum, an die der Wunsch nach Durchführung der Abtreibung herangetragen wird. Die Absurdität der Argumentation wird deutlich, wenn der Begriff „Abtreibung“ durch einen anderen Straftatbestand wie zum Beispiel Diebstahl, Mord oder Vergewaltigung ersetzt wird. Leider ist es aber so, dass das, was ganz offensichtlich und aus gutem Grund in solchen Fällen absurd ist, im Bereich Abtreibung zunehmend Zustimmung zu erfahren scheint.

Die Vehemenz, mit der Gewissensentscheidungen von medizinischem Personal im Zusammenhang mit Abtreibungen in Frage gestellt wird, nimmt an Schärfe zu. Bekannt ist in Deutschland der Fall einer Auszubildenden, die kurz vor Ende der Probezeit in der Ausbildung zur Hebamme von der Klinikleitung mitgeteilt bekam, dass eine Weiterbeschäftigung davon abhinge, ob sie bereit sei, auch an Abtreibungen mitzuwirken. Dies hatte sie bisher aus Gewissensgründen abgelehnt. Mithilfe der Unterstützung eines Rechtsanwalts und eines prominenten Kirchenvertreters gelang es ihr schließlich, die Stelle doch zu behalten.

Anders erging es einer schwedischen Hebamme, die ebenfalls aus Gewissensgründen eine Mitwirkung an Abtreibungen ablehnte. In ihrem Fall entschieden die Gerichte, dass es rechtens ist, sie auf Grund dieser Haltung nicht zu beschäftigen: Abtreibungen seien integraler Bestandteil der Arbeit einer schwedischen Hebamme, sie habe daher daran mitzuwirken, falls sie diesen Beruf ausüben möchte.

Wie steht es um die Gewissensfreiheit von Anbietern?
Unter Druck sind aber auch Apotheker, die sich aus Gewissensgründen weigern, die Verhütungsmittel oder die „Pille danach“ zu verkaufen. Rainer Auerbach, Geschäftsführer der Berliner Apothekerkammer, argumentiert: „Der Gewissensfreiheit des Apothekers steht … das Grundrecht der Patienten auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG entgegen. (…) Dem Apotheker steht kein religiös oder weltanschaulich begründetes Ermessen bei der Abgabe von Arzneimitteln zu. Eine Abgabeverweigerung aus Gewissensgründen ist nicht zulässig.“ Auerbach setzt in seiner Argumentation eine vermutete Schwangerschaft mit Krankheit gleich, die therapiert werden muss, da sie sonst das Wohlbefinden oder gar Leben eines Menschen bedroht.

Einen großen Schritt weiter geht Dr. Christian Fiala, der ehemalige Präsident der FIAPAC (internationale Vereinigung der Abtreibungsmediziner) und Leiter des auf Abtreibungen spezialisierten Gynmed-Ambulatoriums in Wien. Fiala hat es sich in den letzten Jahren offensichtlich zur Aufgabe gemacht, die letzte Bastion der Lebensrechtler zu stürmen: die Möglichkeit, sich auf die freie Gewissensentscheidung berufen zu können. Dieses Recht, bestimmte beruflich gewünschte oder geforderte Handlungen zu verweigern, ermöglichen zur Zeit noch 21 Staaten der europäischen Union. Laut Fiala gilt es dringend, dieses Recht europaweit zu kippen. Er selbst spricht nie von Abtreibungen, eher von „TOP“ (Termination of Pregnancy – Beendigung der Schwangerschaft), da er die Bezeichnung „Abtreibung“ für „unangebracht, überheblich und fehl am Platz“ hält. Auch Apaglesion hat sich dem Druck der veröffentlichten Meinung gebeugt und schließlich angekündigt, in seinem neuen Klinikumsgebäude Praxisräume für ambulante Abtreibungen eines nicht beim Konzern angestellten Arztes zur Verfügung zu stellen.

Literatur: Rainer Auerbach, Agnieszka Wisniewska. Verweigerung der Abgabe von Arzneimitteln aus Gewissensgründen. In: Pharmazeutische Zeitung Online, 36/2013.