Ausgabe August / September 2017 – Landesbischof Heinrich Bedford Strohm, München
Kirche muss sich einmischen, auch in die Politik!
Die „Zwei-Reiche-Lehre“, präziser: die „Zwei-Regimente-Lehre“, ist so alt wie die Reformation selbst und von einer bemerkenswerten – durchaus ambivalenten – Wirkungsgeschichte.
Martin Luther selbst stieß in seiner praktischen Tätigkeit als Politikberater immer wie- der auf die Frage, wie ein Fürst das christliche Gebot der Barmherzigkeit berücksichtigen und gleichzeitig seiner Verantwortung für die gesamte Gemeinschaft gerecht werden könne. Ausgangspunkt ist für ihn der Impuls, die Schwachen zu schützen. Das heißt, es ging Luther nicht um Staatsfrömmigkeit oder um das Propagieren von grenzenloser Gewaltausübung des Staates. Sondern es ging ihm – lange vor der Entstehung demokratischer Ideen – um die Herrschaft des Rechts.
Die Gebote der Bergpredigt kann und soll der Einzelne befolgen. Sie gelten in dem, was Luther das „geistliche Regiment“ nennt. Wenn sie aber direkt in die Politik übertragen werden, besteht die Gefahr, dass das Gegenteil von dem erreicht wird, was damit beabsichtigt ist: Nicht Barmherzigkeit und Nächstenliebe werden gefördert, sondern dem Recht des Stärkeren Tür und Tor geöffnet. Wer im politischen Bereich gemäß der Bergpredigt gegenüber dem Bösen keinen Widerstand leistet, wer einfach die andere Wange hinhält, der verfehlt die Liebe, weil er dem Recht des Stärkeren freien Raum lässt und die Schwachen letztlich allein lässt.
Deswegen braucht es das „weltliche Regiment“ Gottes: Die Politik muss für die Einhaltung des Rechts sorgen und braucht auch Zwangsmittel, die dann greifen, wenn das Recht sabotiert wird. Immer wieder ist die Zwei-Regimente-Lehre so verstanden worden, als ob im weltlichen Bereich eine Eigengesetzlichkeit herrsche, die dem Barmherzigkeitsgebot im geistlichen Bereich entgegenstehe. Im Sinne Martin Luthers ist das falsch. Denn natürlich steht auch das weltliche Reich unter dem Regiment Gottes. Auch hier ist Gott kein anderer als der, der sich in Jesus Christus gezeigt hat. Recht und Barmherzigkeit sind deswegen kein Gegensatz, sondern müssen aufeinander bezogen werden. Die Liebe – so ist Luther zu interpretieren – muss auch das weltliche Handeln leiten. Staatliche Gewalt hat enge Grenzen. Sie müssen aber so gezogen sein, dass die Herrschaft des Rechts nicht in Gefahr gerät. Recht und Liebe sind nicht das Gleiche. Sie müssen unterschieden werden. Aber sie dürfen nie voneinander getrennt werden. Die Kunst der Politik ist es, das Recht so u setzen, dass die Liebe darin Heimat zu finden vermag.
Der Jurist Udo Di Fabio hält fest: „Luther wollte gerade keinen Beitrag zur weltlichen Rechtsentwicklung leisten und hat es objektiv dennoch getan. Im Reich Gottes sollten Gnade und Barmherzigkeit herrschen, während im weltlichen Reich auch Strafe und Ernst regierten.“ Kirchen seien aus diesem Verständnis heraus keine politischen Akteure. Dass Kirche unpolitisch zu sein habe, schließt Di Fabio daraus nun aber genau nicht. Die Kirchen – so stellt er fest – „irritieren den politischen Prozess. Sie sagen etwas zum politischen Prozess, sie nehmen Stellung. Sie stehen nach wie vor, wie das seit 500 Jahren der Fall ist, für ein Stück Zivilgesellschaft, die eine besondere ideelle Fundierung besitzt, nämlich im Glauben, in der christlichen Botschaft, in der Heiligen Schrift.“